Gedanken zu Ostern (Ostara)
Es ist das Gefühl der frühen Morgenstunden, wenn im Strauch oder dem Baum vor dem Fenster die Vöglein zwitschern und ein zuversichtsspendender Sonnenstrahl den neuen Tag einleitet. Nachdem man von der Sonne wachgeküsst wurde, zieht ein kühles Lüftlein durch das gekippte Fenster, welches sanft das Gesicht streichelt. Man geht aus dem Hause und bemerkt, dass die Tage wieder deutlich länger werden, die Temperaturen langsam steigen und die Natur aus ihrem Winterschlaf erwacht. Hier und da noch ein stürmischer Tag, ein kleiner Schnee- oder Hagelschauer, doch stets das Bewusstsein im Hinterkopf, dass sich der Winter verabschiedet. Die Blumen fangen an zu sprießen, in der Tierwelt beginnt ein emsiges Treiben und auch wir verspüren das Erstarken unserer Libido. Erwacht die Natur, so erwachen auch wir. Ob wir es wollen oder nicht, ob wir uns dagegen wehren oder nicht, ob wir es anerkennen oder nicht – die Sonne ist wieder auf ihrem Siegeszug! Ein niemals endender Zyklus des Werden, Sein und Vergehens. Zu Ostara wird das Werden deutlich spürbar.
Mit dem Ostarafest feiern wir den Frühling und damit auch einen Neubeginn. Heraus aus der Winterdepression, hinein in das Erblühen. Deswegen werden bunte Eier als Symbol der Metamorphose und Hasen als Zeichen der Fruchtbarkeit verwendet. Ostara, oder auch Eostra, hat vorchristliche Wurzeln und wurde im Jahre 325 unserer Zeit beim Konzil zu Nicaea auf den ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gelegt. Der Hase scheint das heilige Tier Eostras gewesen zu sein, womit sich erklären lässt, weshalb das Essen von Hasenfleisch durch Bonifatius und Papst Zacharias im Jahre 755 verboten wurde. Mitte des achten Jahrhunderts war die Zeit der Christianisierung Zentraleuropas unter fränkischer Führung. Es war zwar möglich, den Menschen mit Gewalt gewisse Handlungen zu verbieten, dadurch manifestierten sich diese jedoch nur in anderer Form wieder. Die Menschen begannen Symbolgebäck zu backen, wie es auch von anderen Festanlässen her bekannt ist. Ein weiterer Brauch ist die schweigende Prozession der Frauen und Mädchen zu einer Quelle im Morgengrauen. Damit einher geht auch das Schmücken der Quelle, oder des Brunnens, wie es noch heutzutage in ländlichen Gegenden praktiziert wird. In unserer Region ist es beispielsweise die Stadt Königsbrunn, die ihrem Namen zur Osterzeit alle Ehre macht und den zentralen Brunnen prachtvoll schmückt.
Die Vielfalt der Bräuche und Überlieferungen in dieser Jahreszeit ist enorm. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus, der jedoch eher als Schriftsteller einzuordnen ist, berichtet von der Göttin Nerthus. Sie wird im Frühling aus ihrem Hain geholt und mit einem Wagen feierlich über die Felder gezogen. Dadurch soll die fruchtbare Kraft der Frühlingsgöttin auf den Ackerboden übergehen. Aus der nordischen Mythologie ist bekannt, daß die Germanen zu ihrem Frühlingsfest die Göttin Idun besonders ehrten. Sie ist die Bewahrerin der goldenen Äpfel, von welchen die Asen täglich kosten, um jung zu bleiben. Mancherorts wird heute noch der Winter mit wilden Masken und viel Lärm ausgetrieben, damit der milde Frühling endlich Einzug halten kann. Als Beispiel wäre hier die Alemannische Fastnacht zu nennen.
Ein weiterer Brauch besteht darin, den Winter symbolisch zu verbrennen. Diese schöne Sitte, welche der städtischen Bevölkerung mittlerweile weitgehend unbekannt ist, findet sich auf dem ganzen europäischen Kontinent verteilt, in vielerlei Formen wieder. Bei unseren slawischen Nachbarn im Osten ist der Wintergeist als Morena bekannt. Die Morena geht ebenfalls auf vorchristliche Traditionen zurück und es ist begrüssenswert, dass in den slawischen Teilen Europas das Verlangen nach kultureller Rückbindung zunehmend erwacht. Was die Mythologie betrifft, bestehen viele Gemeinsamkeiten zwischen Germanen und Slawen. Die Unterschiede sind gering, doch machen sie den jeweiligen Charakter aus. Beide Völkerschaften leben auf ungefähr der gleichen geographischen Breite und damit unter ähnlichen natürlichen Gegebenheiten, denen man sich im Laufe der Geschichte mit dem jeweiligen Brauchtum anpasste.
Eine wichtige Aufgabe erfüllt bei diesem Feste auch Donar, vielen bekannt als Thor. Er ist der Freund der Menschen und besonders der Bauern. In einem Vers der karolingischen Zeit des achten Jahrhunderts heisst es “Donerdutigo dietewigo” bzw. “Donerdutiger dietmahtiger”, was soviel bedeutet wie Donar Vertrauter, des Volkes Kämpfer (oder Weiher). Ein Spruch, der wohl als Fragment eine Zeitlang die Christianisierung überlebte. Der Donnerer prescht auf seinem Wagen herbei und vertreibt die feindlichen Reifriesen von den Feldern, auf dass die Bauern ihre Saat ausbringen können. Speis- und Trankopfer waren der Dank der Bauern an ihren göttlichen Freund. Ihm, dem Gott der Weihe und der Opfergabe, wird die Farbe Rot zugeordnet. Donar schwingt seinen Hammer, bzw. die Keule und weiht damit die Welt. Die südgermanischen Völker, wie beispielsweise die Alemannen, schrieben Donar eine Keule zu (siehe Reallexikon germanischer Altertumskunde). Erst Jahrhunderte später gibt es Belege für den Hammer “Mjölnir”, mit dem Thor – die nordgermanische Entsprechung Donars – ausgestattet ist. Die Parallelen zu dem griechischen Herkules sind deutlich. Eine treffliche Gelegenheit also für jeden Augsburger, sich zur Frühlingszeit an den Brunnen in der Maximilian Straße zu setzten, wo Herkules siegessicher seine Keule schwingt.
Der weihende Charakter des Hammers bzw. der Keule als Wachstums- und Fruchtbarkeitssymbol erschließt sich daraus, dass entsprechende Amulette fast ausschließlich von Frauen getragen wurden, was Grabfunde zeigen. Im Thrym-Lied der Älteren Edda wird beschrieben, dass einer Braut zur Hochzeit der Hammer in den Schoß gelegt wird, damit er Fruchtbarkeit spende. Auch das Ostarafest und seine Symbolik haben einen vorwiegend weiblichen Aspekt. Donar / Thor selbst und speziell seine Waffe bergen eine Dualität mit tiefem Sinngehalt. Die zerstörerische männliche Kraft als Waffe gegen die Riesen und die Fruchtbarkeit spendende, weihende weibliche Kraft werden in einem Zeichen vereinigt. Der Hammer repräsentiert damit Leben und Tod als Einheit, also die Ganzheit der kosmischen Existenz vom Anbeginn bis zum Untergang und einem daraus wieder erwachsenden Neuanfang. Das Zeichen der Keule / des Hammers mahnt uns, dass das Leben nicht auf das Individuum begrenzt ist, sondern in einem viel größeren Zusammenhang steht. So leben die verstorbenen Ahnen in uns selbst weiter und auch wir werden einst in unseren Kindern weiter leben. Donars Waffe spiegelt die Bündelung und den Ausgleich der kosmischen Kräfte wider. Der individuelle Tod ist daher – wenn auch für Angehörige schmerzhaft – weder als gut noch als schlecht anzusehen, sondern als dringend notwendig, um das Leben an sich sicherzustellen.
Artbekenntnis von Jürgen Rieger, Satz 11:
Ohne den Tod des Einzelwesens sind die Arten nicht lebens- und entwicklungsfähig. Wir bekennen, dass der einzelmenschliche Tod nicht Strafe oder Erlösung aus einem angeblichen irdischen Jammertal, sondern Voraussetzung für das künftige Gedeihen unserer Art ist.
Sextus Empiricus, griechischer Arzt und Philosoph, 2. Jahrhundert unserer Zeit:
„Von der Natur aus gibt es weder Gutes noch Böses. Diesen Unterschied hat die menschliche Meinung gemacht.“
Der oft formulierte Wunschgedanke der Menschheit nach Unsterblichkeit findet also in diesem Symbol seine Antwort, genauso wie sich hier der Sinn des Lebens erschließt. Der Sinn des Lebens ist das ganzheitliche Leben an sich und, auf das Individuum bezogen, die bloße Weitergabe des Lebens, um anderen Individuen – ja gar der ganzen Sippe, dem Volke und schlussendlich der ganzen Spezies – das Leben zu ermöglichen.
Artbekenntnis von Jürgen Rieger, Satz 12:
Der Mensch ist unsterblich in den Nachkommen und Verwandten, die sein Erbe teilen. Nur sie können unsere von den Ahnen erhaltenen Anlagen verkörpern. Wir bekennen, dass der höchste Sinn unseres Daseins die reine Weitergabe unseres Lebens ist.
Nur durch diesen stetigen Generationenwechsel, bestimmt von Werden und Vergehen im Zeichen des Hammers, erfüllen sich die ehernen Naturgesetze. Es muss vernichtet werden, um wiederum Leben zu ermöglichen. Würde Donar im Frühjahr nicht die Frostriesen von den Feldern vertrieben, könnten die Bauern keinen Ackerbau betrieben. Das kosmische Gleichgewicht würde also aus den Fugen geraten.
Mit Donars Amulett um den Hals verstehen wir uns nicht als isolierte Statisten in einer „Umwelt“, sondern als notwendige Zahnräder im Gefüge unserer “Mitwelt”. In ihr hat jedes Element seinen Sinn und seine Aufgabe, derer man sich nur bewusst werden muss. Findest Du zum Hammer, so findest Du in Einklang zum Kosmos und zu Dir selbst. So erschließen sich Dir ganz neue Facetten und Perspektiven. Du wirst verstehen, dass die mannigfaltigen Vorgänge und Kreisläufe der Natur in einem kausalen Zusammenhang stehen, wodurch unsere blanke Momentaufnahme der Dinge an Relevanz verliert. Das eigene Leben gewinnt an Dynamik und befreit sich selbst aus der Stagnation.
Deswegen feiern wir zu Ostara unter anderem den deutlich spürbaren Fruchtbarkeitsaspekt des Hammers in dieser Jahreszeit. Das Gleichnis des Hammers und die mit ihm verbundenen Philosophien helfen uns, mit unserem Leben, all den Höhen und Tiefen und letztendlich mit uns selbst und unserer Mitwelt klarzukommen.
Ich wünsche mir, dass noch viele folgende Generationen den Zauber dieses Festes miterleben. Deswegen hoffe ich, dass unsere heiligen Feste des alten Europas nicht zwischen Mc Donalds und Coca Cola untergehen. Genauso wenig sollen diese Feste durch rote Gleichschaltung und Kulturfrevel entstellt und vergewaltigt werden. Daher freut es mich ganz besonders, dass die mongolische Schamanenkultur, also die eigentliche Kultur der zentralasiatischen Steppenvölker, nach Jahrzehnten des Sowjetterrors endlich wieder eine Blüte erlebt. Stehe ich am Feuer und blicke auf den verbrennenden Wintergeist, bin ich im Gedanken auch bei allen anderen Völkern, die nach ihrer Art den nahenden Frühling feiern. Symbolisch geht die Tyrannei in Flammen auf und gibt uns die Hoffnung auf eine Wiedererstarkung alter Werte.
Quelle: Nationales Augsburg