Bei anderen gelesen: Halbe und Ganze

14. Dezember 2011

Der entscheidende Unterschied

„…aber was willst du denn da machen? Der geht mit mir in die Schule, fängt bald eine Ausbildung an. Ich sehe da echt kein Problem.“, sagte ich. „Doch“, meinte Stefan, „er schadet Deutschland.“ – „Wie kann er denn Deutschland schaden?“ – „Seine Rasse schadet Deutschland.“

Die Diskussion war beendet. Damals saßen ich und Stefan in einer Kneipe. Beide sechzehn Jahre alt, eine der ersten Male, dass wir Bier bestellen durften. Wir unterhielten uns über Jakob. Jakobs Mutter war Deutsche, sein Vater Weißrusse, und Jakob war ein guter Kumpel von mir. Ich war in eine Diskussion mit Stefan über Multikultur geraten. Stefan kannte da keine Kompromisse. Alle rausschmeißen. Das war die Lösung. Schon damals behagte mir etwas nicht an Stefans Ansichten. Ich konnte es aber nicht genau sagen. Ich ließ die Diskussion bleiben, denn ich wollte keinen Streit mit meinem damals besten Freund und „Kameraden“ vom Zaun brechen.

Heute würde ich vieles anders machen. Heute würde ich ihm seinen eigenen Unsinn um die Ohren hauen. Ihn fragen, ob er das eigentlich selber glaubt. Ihn fragen, warum er von Rasse redet und keine Ahnung davon hat. Und ihm sagen, dass es wohl einen Unterschied macht, ob jemand ein krimineller Immigrant ist oder ein Mensch, der nun einmal das Schicksal hatte, als Sohn eines Sowjetsoldaten geboren worden zu sein. Denn Deutschland – das habe ich heute begriffen – war für ihn stets nur eine Legitimation für seinen Hass.

Später folgten Gewalttaten, oftmals politisch motiviert. Als ich ihn damals begleitete, weil er zur erkennungsdienstlichen Behandlung beim Staatsschutz erscheinen musste, bemerkte der Beamte nur hämisch: „Da seht ihr, wohin euch dieser Weg führt.“

Damals hätte ich sogar vor Gericht für ihn gelogen. Denn unter Freunden macht man das. Da unterstützt man sich. Da hilft man sich gegenseitig aus der Klemme.

Das ist jetzt ein paar Jahre her. Stefan ist ausgestiegen. Ich bin noch dabei. Denn unser beider Antrieb war verschieden.

Soldatentum, der Landser, das waren die Vorbilder von uns beiden. Doch für ihn strahlte der Soldat Macht aus, denn der Soldat hat eine Waffe und ist Teil einer Armee. Und der Soldat kann diejenigen erschießen, denen er das Leben abspricht. Ich glaube, das waren seine Gefühle, wenn er Lieder über die Wehrmacht anhörte. Auch wenn er das so nie erkannt hat und bestreiten würde. Soldaten sind auch heute noch Vorbilder für mich. Und damit meine ich wirkliche Soldaten und keine Söldner der Bundeswehr. Denn Soldatentum bedeutet Pflicht, Treue und Unterordnung gegenüber einer ethisch hochwertigen Idee.

Die Gemeinschaft, das war für Stefan die Gruppe, die hinter einem stand. Das würde sie auch heute noch. Doch die Gemeinschaft fordert auch Pflichten und Opfer. Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit waren ihm stets unverständlich. Sobald sie ihm aber emotionale oder materielle Vorteile gab, dann war sie toll. Dann war das Kameradschaft.

Das war damals vielleicht der Unterschied. Ich suchte eine Gruppe von Menschen, die dachten wie ich. Dass sie mich akzeptierten und als Freund und Kamerad zu schätzen lernten, mag daran liegen, dass wir vom gleichen Schlage sind. Das war damals aber nicht der Grund, dass ich politisch wurde. Stefan suchte damals eine Gruppe, die ihn in erster Linie akzeptierte. Das Denken kam dann von alleine. Glaubte zumindest ich, glaubten eigentlich alle.

Im Nachhinein betrachtet würde ich Stefan trotzdem nicht als Mitläufer bezeichnen. Zu sehr war er in Strukturen involviert. Und auch in Bezug auf Politik und Geschichte möchte ich ihm sein Wissen nicht absprechen. Seine emotionale Verbundenheit zur Weltanschauung war aber offensichtlich anderer Natur als meine.

Jeder Mensch kommt in seinem Leben zu Punkten, an denen er sich fragen muss, ob er seine Ziele auf dem Weg, den er geht, erreichen kann. Und wenn nicht, woran es liegt, und ob der Weg es trotzdem wert ist.
Stefan erkannte eines Tages, dass sein bisheriger Weg ein böses Ende nehmen würde. Er nannte diesen Weg „Nationaler Sozialismus“. Ich nenne ihn „sein Verhalten“. Diese beiden Komponenten können sich irgendwann widersprechen. Denn seine privaten und strafrechtlichen Probleme waren das Resultat seiner Handlungen, nicht das Ergebnis politischer Demagogie.

Es ist immer einfach, seine Umgebung für seine persönliche Situation verantwortlich zu machen. Nur die Aufrichtigsten sind bereit dazu, schmerzlich anzuerkennen, was sie selbst falsch gemacht haben.

Stefans Verhalten wurde auch bald für die Gruppe unerträglich und es war nur der Aspekt der langjährigen Freundschaft, die die Gruppe immer wieder dazu bewog, ihm neue Chancen zu geben. Zuletzt hatte er auch diese verspielt. Stefan ging dann freiwillig. Er begründete es damit, dass er keine Ideologie voller Hass mehr vertreten könne. Das war seine Ideologie.

Unsere persönliche Freundschaft fand unabhängig davon bald ein Ende. Politik spielte dabei keine Rolle. Wenn Ehrlichkeit und Vertrauen fehlen, bringt sie nichts.

Stefan ist ausgestiegen. Ich bin noch dabei. Halbe und Ganze. Das ist der Unterschied.

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Die Geschichte ist fiktiv und hat so nie stattgefunden, wenngleich sie durch persönliche Erfahrungen der Autoren beeinflusst ist. Identische Namen beruhen auf reinem Zufall. Infoportal Schwaben.

 

Quelle: Infoportal Schwaben

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