Bereits in einem vorherigen Artikel berichteten JN-Mitglieder zusammengefasst von Ereignissen die in den Tagen vor 20 Jahren die Menschen in unserer Heimat beschäftigten. Freundlicherweise wurde uns durch den Großvater eines unserer Mitglieder eine vollständige Gedächtnisaufzeichnung der damaligen Geschehnisse mit viel persönlichem Hintergrundgeschehen zur Verfügung gestellt. Diese Schilderung – für uns ein sehr aussagekräftiges und unverfälschtes Zeitzeugendokument – möchten wir euch nicht vorenthalten und veröffentlichen es hiermit verbunden mit einem herzlichen Dank an den Verfasser!
Wendezeit – Wende wohin?
Folgende Ausführungen sind ganz persönliche Sichtweisen, eben Gedanken die der „kleine Mann“ vor, während und nach der Wendezeit hatte. Auch sind diese aus der Perspektive des 21. Jahrhundert aufgeschrieben, eben genau 20 Jahre nach dem so genannten Mauerfall 1989.
Zwischenzeitlich sind ja viele Bücher und Dokumentationen geschrieben worden, oft von Leuten, die sich heute als die großen Macher und Beweger des Volkes der ehemaligen DDR darstellen. Diese Leute stehen nun vor den Mikrofonen und Kameras und geben bekannt, unter welchen Gefahren sie sich damals befanden. Allein die Frage, wer darf heute vor aller Öffentlichkeit ans Mikrofon treten, beantwortet schon vieles.
Die „Wendezeit“ ist eigentlich ein ganz normaler Baustein in der Geschichte der Deutschen. Viele große Ereignisse geschahen in der Mitte Europas, angefangen von der Hermannsschlacht im August des Jahres 9 nach Christus über den 30 jährigen Krieg 1618 bis 1648 sowie der Erste – und Zweite Weltkrieg mit seinen Folgen bis zur Vereinigung der DDR mit der BRD……
In der Politik gibt es auch einmal – wenn auch ganz selten – eine günstige weltpolitische „Wetterlage“. Ob diese aus heutiger Sicht günstig war, sei einmal dahingestellt. Die Weltbühne öffnet sich, drei mächtige Herren treten auf die Bühne, Gorbatschow, Bush und Kohl. dazu ein Schwarm solcher und solcher politischer: “Mitmischer“.
Die politische Gesamtlage veränderte sich seit ca. 1980 dramatisch im so genannten Ostblock.
Dem kann sich die noch relativ stabile DDR in den Anfangsjahren der 80 – ziger entziehen.
Doch die Fahrt ins Ungewisse ist auch infolge der Ereignisse wie sie in Polen oder Ungarn ablaufen dann in der DDR nicht mehr aufzuhalten.
Unter dem Einfluß westlicher Medien wird das Volk in der DDR immer mutiger. Erst sind es nur vereinzelt Gruppen aus Kirchenkreisen, die die „theoretischen Grundlagen“ fürs Volk liefern. Diese kleinen Zirkel verfassen Aufrufe und schreiben unter dem Begriff „ konstruktive Verbesserung des Arbeiter –und Bauernstaates“ Briefe an Behörden und Ministerien der DDR. Dabei geht es um Verbesserungen im Bildungswesen, Ausstieg aus dem geplanten und im Bau befindlichen Atomkraftwerk bei Stendal und um viele andere konkrete Dinge des Alltags. An eine politische Vereinigung zwischen der DDR und der BRD war im Zeitraum 1986-1988 noch nicht zu denken. Alles verlief noch ziemlich „diplomatisch“ ab und in Kirchenkreisen war man auch gar nicht ernsthaft an eine Vereinigung interessiert.
Wie war es ganz konkret und was gibt es persönliches von Zeitzeugen zu berichten?
Beginn der Montagsdemonstrationen in Magdeburg:
In der Mittagspause des Plattenwerkes Rothensee, wo überwiegend Bauarbeiter beschäftigt sind, gibt es folgendes Gespräch: „ Hast du schon gehört, im Magdeburger Dom treffen sich Leute, die wollen vieles verändern und haben auch den Mut dazu, es öffentlich auszusprechen“.
Ein anderer: „Na, zu verändern wäre ja wirklich viel, ich hoffe aber auch, daß das für den kleinen Mann gilt“.
„Ja, ich werde jedenfalls da mal hingehen und zuhören“.
Ein anderer, „Sei mal vorsichtig, Spitzel rennen da sicher auch rum und Dein Name wird notiert“
„Ich habe keine Bedenken, es sollen ja sehr viele Menschen dort sein und gegen eine große Menge Leute sind die auch machtlos, die sollen nur alles aufschreiben und ihren Herren melden was sie hören, ich gehe jedenfalls hin“
Einen Tag später berichtet der Kollege, was er erlebt hat und ist begeistert. Einige andere meinen, “…am nächsten Montag gehen wir auch hin“
Es ist Herbst, draußen dunkelt es und leichter Regen fällt, und im Magdeburger Dom bei Kerzenschein schieben sich die Menschen in das Innere…..alle wollen mit dabei sein, die Menschen sehen nicht ängstlich aus, ganz im Gegenteil, ein jeglicher will was hören und jeder will seinen Beitrag zu einer Veränderung leisten. Vorn klimpert eine Gitarre mit Liedern, welche sinngemäß verkünden „Mache Dich ans Werk, und der HERR wird mit Dir sein“.
Viele Teilnehmer haben als ein Zeichen des Friedens Kerzen in den Händen und anwesende Polizisten nicken bereitwillig den Kopf.
Seit dieser Zeit wird alles mehr oder weniger zu einem Selbstläufer. Das Volk will sich nun nicht mehr mit den Dingen des Alltags zufrieden geben. Sie fordern den Rücktritt vieler Parteioberen auf dem Domplatz. Sie rufen plötzlich „Wir sind das Volk“ oder „Deutschland einig Vaterland“ und das sehr zum Entsetzen vieler „Genossen“ – man hatte den Eindruck das es welche waren – , welche nunmehr am Straßenrand bei der anschließenden Straßendemonstration gegenüber des MVB – Gebäudes standen.
Man hatte nun das Gefühl, – und so ist es wohl auch gewesen – daß das Volk nun alle Macht des Landes hatte und es würde nichts mehr ohne ihm gehen. In der Stadthalle treffen sich Leute vom „Forum“, es geht noch sehr spontan und chaotisch zu. Es sollen sich Leute aus dem Saal zur aktiven Mitarbeit im Forum melden…dazu werden Einteilungen und Stadtbezirke genannt, währenddessen betritt eine junge Frau die Bühne und ruft aufgeregt: „ Habt ihr jetzt nichts anders zu tun, während man in diesen Augenblicken Akten auf dem Stasigelände abtransportiert und vernichtet!“
Ich denke, in dieser Zeit hätte man sogar ein Königreich hierzulande errichten können.
Die Grenzöffnung erfolgte dann auch ganz urplötzlich und kam trotz der politischen Situation im Lande unvermittelt. Bereits am Abend berichtete die Tagesschau von den Ereignissen in Berlin an der Mauer und den übrigen Grenzübergängen….
Im Plattenwerk Rothensee war es ab ca. 11 Uhr ziemlich still, obwohl sonst reger Betrieb herrschte.
Viele Gerüchte gingen umher……und auf der nahe gelegenen A2 sah man erhöhtes Verkehrsaufkommen in Richtung Westen……war dies ein Zeichen, was jetzt zu tun wäre?
Ohne viel zu debattieren verschwanden die Kollegen von ihren Arbeitsplätzen. Ein jeder hatte sich etwas vorgenommen…….
Meine Grenzüberschreitung:
Bevor ich westdeutsches Gebiet betrete, dachte ich mir, gehst Du noch einmal zum Frisör um dort auch als „anständiger Mensch“ aus der DDR angesehen zu werden…..gemacht getan.
Im Anschluß ging es nach einer ziemlich langen Wartezeit an der Tankstelle mit dem Lada auf die A2, in Richtung Hannover zu guten Bekannten. Denn Hannover war ja relativ nahe.
Es war ca.14 Uhr. Bereits in der Nähe vor Uhrsleben der erste Stau….dann ging es im Wechsel zwischen fahren und stehen bis zur Grenzabfertigung. Diese Aufregung war selbst ein russischer Lada nicht gewachsen. Durch das ständiger halten und anfahren stieg die Temperatur des Motors über das Normale hinaus und er kochte vor Wut im wahrsten Sinne.
Glücklicherweise befand sich vor uns ein holländischer Kleintransporter mit einem freundlichen Menschen, der zuließ, daß wir uns mit Hilfe eines Seiles ziehen lassen konnten. Dies ging auch bis zur Grenzabfertigung, wo der Lada sich dann ein wenig verschnaufen konnte. Dafür mußte alles ausgeräumt werden…und dann wieder eingeräumt werden…so wußte man auch dies, wie es in all den Jahren zuvor hier vonstatten ging.
Dann ging es wieder im Stau weiter…..aber es ging nicht lange gut. An der Ausfahrt des Rastplatzes Helmstedt ging nichts mehr, der Lada versagte den Dienst ;-(
Was nun? Ein freundlicher Mann meinte, den ADAC an der Rufsäule anrufen. Gemacht getan, innerhalb weniger Minuten war ein „Gelber Engel“ zur Stelle und setzte ein Ersatzteil ein….wir hatten aber keine DM…er meinte, für heute geschenkt 😉
Dann war aber freie Fahrt bis Hannover, es war inzwischen 22.30 Uhr geworden….Lichterglanz und vielspurige Straßen erwartete uns. Trotz des Lichtes irrte man wie ein Blinder durch die Straßen, bis wir an einer Tankstelle hielten und den Angestellten baten, er möge doch diese Nummer anwählen und wir möchten von hier abgeholt werden. Er meinte prompt, das kostet 2 DM…nach langen hin und her überzeugten wir ihn, daß die Leute, die uns abholen, auch diesen Betrag bezahlen würden….
Natürlich war die Begrüßung überschwänglich und am nächsten Tag wurde uns Hannover gezeigt..mit seinen großen Geschäften und Parkanlagen. Dies wollten wir telefonisch auch Bekannten zu Hause erzählen..aber keine Telefonleitung war frei…alles war überlastet…nichts ging.
Ja, Hundert DM gab es an einem Postschalter auch und was sollte man dafür kaufen…..Bücher waren für DDR-Bürger relativ teuer und man zögerte….letztendlich wurde nichts gekauft und die Heimreise ohne Vorkommnisse angetreten. Ab Helmstedt sah man an den Autobahnstreifen Müll an Müll liegen….wohl von Hinterlassenschaften das Staus vom
9. November.
Als der Alltag nach der Maueröffnung wieder eintrat und alle Kollegen wieder auf Arbeit waren, gab es verständlicherweise viel zu erzählen und untereinander zu berichten.
Eine politische Einschätzung war zum damaligen Zeitpunkt schwer zu geben, man war erst einmal von den persönlichen Eindrücken überwältigt und hatte diese zu verarbeiten.
Insgesamt wurde der Mauerfall aber positiv betrachtet, zumal er den Weg zu einer Vereinigung zwischen der DDR und der BRD freimachte. In einer Diskussion im Hafengelände – welches auch zum Plattenwerk gehörte – zwischen einem holländischen und einem polnischen Schiffsführers einerseits und den Kollegen vor Ort gab es heftige Wortgefechte. Der polnische Schiffsführer meinte, durch diese Vereinigung würde Deutschland zu stark werden und das sei international gesehen nicht gut. Auch der Holländer empfahl keine Vereinigung, sondern die DDR sollte ein autonomes Gebiet werden. Dagegen meinte ein deutscher Umschlagarbeiter, das deutsche Volk gehört geschichtlich, wirtschaftlich und sozial zusammen.
Viele Steine mußten noch beiseite geräumt werden und am 3.Oktober 1990 wurde die BRD und die DDR vereinigt.
Aus heutiger Sicht und rückwirkend sieht vieles anders aus, als man es sich damals vorgestellt hatte. Heute fragt man sich, wer hat eigentlich den politischen Vorteil der Wendezeit? Die Altparteien von CDU oder SPD der alten BRD oder die Nachfolgepartei „Die Linke“..davor „PDS“ und wieder davor die „SED“?
Aber wenn man genauer hinsieht, hat sich auch „Die Linke“ als Nachfolgepartei gewandelt.
Sie hat sich angepasst an das kapitalistische System, obwohl ihre Sprüche, die sie dem Volk verkünden, blendend wirken. Ist sie erst einmal mit an der Regierungspolitik im Lande eingebunden, gehen sie ganz konform mit den anderen etablierten Parteien im Gleichschritt.
So wie sie es als Nationale Front aus DDR-Zeiten kannten.
Es gibt aber auch viele Stimmen, die meinen, die alte DDR mit der alten SED war doch der bessere Staat. Drogen, Prostitution und Gewalt gab es nur in Ausnahmefällen. Durch Arbeit konnte ein jeder seine persönliche Würde behalten und öffentliche „Essentafeln“ für Bittsteller gab es auch nicht. Die Jugend wurde durch Sport und Bewegung fit gehalten und weit Übergewichtige durch eine ungesunde Ernährungsweise sah man auch selten. Heute verlassen immer mehr Deppen die Schule und selbst die Handwerksmeister beschweren sich heute über den schlechten Ausbildungsstand der Schulabgänger.
Da muß man sich natürlich die Frage stellen, warum ist das so? Ist es so gewollt?
Letztendlich muß man sich auch Fragen, gibt es den Staat und gibt es die Mächtigen, die es den Menschen erlauben, in Würde und Freiheit sowie in einem Rechtsstaat im deutschen Vaterlande zu leben?