DRESDEN/PRAG. Am 24. März führten Junge Nationalisten gemeinsam mit Aktivisten der Arbeiterpartei für soziale Gerechtigkeit, der tschechischen Dělnická strana sociální spravedlnosti (DSSS), den mittlerweile zur festen Institution gewordenen Sächsisch-Böhmischen Kulturtag durch. An der Aktion beteiligten sich neben Mitgliedern der ausrichtenden JN-Dresden auch Vertreter weiterer Stützpunkte in Sachsen, sowie einige Interessenten welche sich auf diesem Wege selbst ein Bild von der Vielfältigkeit der Arbeit unserer Jugendbewegung machen konnten.
Nach dem Ausflug in die Stadt Aussig im April vergangenen Jahres und dem darauf folgenden Gegenbesuch tschechischer Aktivisten in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden, führte die erste Kulturfahrt 2018 in das kleine Örtchen Tyssa (heute Tisá) im Sudetenland, etwa fünf Kilometer von Peterswald (heute Petrovice) am heutigen Grenzübergang Bahratal in der Böhmischen Schweiz gelegen.
Die Böhmische Schweiz wurde im Jahr 2000 zum Nationalpark in der Tschechischen Republik erklärt. Das Hauptziel ist der Schutz der einzigartigen Sandsteinformationen und der gebundenen Biotope. Massive Felstürme, Tore, Mauern, Schluchten und Labyrinthe entstanden durch die Erosion mariner Kalksedimente, die im Laufe der Zeit durch alpine Falten an die Oberfläche gehoben wurden. Die vielleicht berühmteste Felsformation auf dem Gebiet des Parks ist das Prebischtor. Mit einer Breite von 26,5 Metern und einer Höhe von 16 Metern das größte natürliche Felsentor Europas, ist das Prebischtor Symbol des Nationalparks und hat den Status eines nationalen Naturdenkmals.
Nach Germanen und Kelten siedelten um 500 erstmals slawische Stämme im heutigen Tyssaer Gebiet. Aus dieser Zeit stammt auch der Name des Ortes, der auf Slawisch „Eibe“ bedeutet. Die Ortschaft selbst geht auf die Festung Schönstein und ein angeschlossenes Dorf zurück, das die Wartenberger, ein süddeutsches Adelsgeschlecht, errichteten. Die Festung sollte dem Schutz der Salzstraße dienen, die von Halle an der Saale über Dresden und Aussig nach Prag führte. Während der Hussitenkriege im Jahr 1429 wurde die Festung niedergebrannt.
Während des Dreißigjährigen Krieges gelangte im Jahr 1631 eine kroatische kaiserliche Truppe nach Schönstein die das gesamte Gut vernichtete. Beim späteren Einmarsch schwedischer Truppen, brannten diese beide Dörfer nieder. Laut der Volkszählung nach dem Dreißigjährigen Krieg hatten Tyssa und Schönstein insgesamt 90 Einwohner und 17 Häuser.
Das Dorf Tyssa lebte lange im Schatten des Schönsteins. Mit dem Schwinden der Wälder und aufgrund der geringen Erträge aus den hochgelegenen steinigen Feldern wurde nach neuen Erwerbsmöglichkeiten gesucht. Nach 1750 wurde in Tyssa mit der Herstellung von Löffeln aus Zinnguß begonnen, später kamen noch Türklinken, Gürtelschnallen, Hufeisen, Glocken, Schellen und Pferdegeschirrteile hinzu. 1770 wurde die Herstellung der ersten Zinnknöpfe eingeführt. Dies war die Geburt der Knopfindustrie in Tyssa. Die erste Knopfproduktion und Metallgießerei bauten die Brüder Winkler 1783 auf. Viele weitere folgten.
In diese Zeit fällt auch die Romantik, in der unter anderem das Wandern zum beliebten Volkssport wurde. Zum Beispiel in den Tyssaer Wänden, einem großen Felsgebiet, welches dem Ort Tyssa eine mächtige Steilwand zuwendet. Schon in früheren Zeiten drangen Menschen in diese schwer zugängliche Wildnis ein, aber meistens nur um sich zu verbergen, oder zu jagen. Alles hatte seinen Anfang im benachbarten Sachsen, wo man zum Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Gipfel bestiegen hatte. Auf böhmischem Gebiet war es Carl Beck, welcher 1888 im Herrnskretschener Gebiet einen hohen Gipfel bezwang, welcher jetzt seinen Nahmen trägt. In das hoch gelegene Gebiet von Tyssa kamen die ersten Kletterer durch das Bielatal über Eiland (heute Ostrov) oder Raitza (heute Rájec). Der erster sportlich erstiegene Gipfel war am 23.8.1907 die Mumie. Ein Turm, der sich etwa in der Mitte des Gebietes befindet. Aber auch Einwohner von Tyssa bestiegen die Gipfel ihrer Heimatfelsen. Dabei kam es im Jahr 1933 zum tödlichen Sturz des 22jährigen Otto Hiebsch vom Januskopf. Er ist auf dem Friedhof von Tyssa begraben.
Am 22. September 1938 kam es in Tyssa, ähnlich wie auch an anderen Orten des Grenzgebietes mit hauptsächlich deutscher Bevölkerung zu Zusammenstößen zwischen den tschechoslowakischen Sicherheitstruppen und den Angehörigen der Sudetendeutschen Partei. Die Gebiete von Tyssa, Raitza und Eiland wurden von der etwa zwanzigköpfigen Gruppe Nr. 16 der Staatsverteidigungswache (SOS), bestehend aus den Angehörigen der tschechoslowakischen Gendarmerie, der Polizei und der Finanzwache verteidigt. Am 22. September 1938 gingen ca. 300 Angehörige der Sudetendeutschen Partei gegen Tyssa vor. Zum Teil waren es Parteimitglieder aus Tyssa und den umliegenden Gemeinden. Der größte Teil der Angreifer waren jedoch Angehörige des Sudetendeutschen Freikorps, einer kurz zuvor in Deutschland gegründeten Formation. Während es im Laufe des Tages gelang, Tyssa zu besetzen, kam es in den Abendstunden zu einem erfolgreichen Gegenangriff der tschechoslowakischen SOS-Gruppen, die in den Morgenstunden weitere Unterstützung der tschechoslowakischen Armee aus Tetschen erhielten. Als letzte tschechoslowakische Grenzschutztruppe bewachte die SOS-Gruppe Nr. 16 ihren Abschnitt bis zum 2. Oktober 1938.
Die Gemeinde Tyssa hat in ihrer Geschichte nie solche bedeutenden Veränderungen erlebt wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den ersten Nachkriegsmonaten zugetragen haben. In Tyssa und Raitza lebten bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges rund 2500 Einwohner, von denen weniger als ein Prozent tschechischer Nationalität war. Gleich nach Kriegsende begann die Vertreibung, bei der es zu inakzeptablen Diebstählen, Plünderungen und Gewalttätigkeiten kam. Im Frühjahr und Sommer 1945 wirkten im Sudetenland die sogenannten Revolutionsgarden, die nicht nur der Tyssaer Ortschronist zu Plündergarden umtaufte. In der Chronik ist zu lesen: „Wie hat man die Vertreibung gemacht? Das hängt ganz vom Charakter und Qualität des Menschen ab, der diese ausübte… Heute in den Nachtstunden fuhren in Tyssa zahlreiche Revolutionsgarden ein. Sie besuchten vorher ausgewählte Häuser und Grundstücke, die noch von Deutschen bewohnt waren, weckten ihre Einwohner rasch auf und informierten sie, dass sie sofort gehen müssten, wobei sie nicht das kleinste Menschenrecht achteten und sie nur mit kleinen Rucksäcken in Richtung Peterswald davonjagten.“
Ein weiterer Teil der Vertreibung spielte sich in Tyssa erst im April 1946 ab. Vom Königswalder Bahnhof gab es insgesamt drei Transporte mit den verbliebenen Deutschen. Der letzte Transport endete dramatisch. Bei den steilen Senken nach Königswald kam es zum Unfall des LKW, der die Deutschen von Tyssa und Raitza zum Bahnhof fuhr. Es kamen 5 Deutsche ums Leben und viele andere wurden verletzt. Insgesamt wurden nach den amtlichen Dokumenten von Tyssa und Raitza 2347 Bürger mit deutscher Nationalität vertrieben. Zur Neubesiedlung kamen Menschen aus Ostböhmen, aber auch viele Slowaken und Ruthenen sowie Mitglieder der Svoboda Armee.
Das heutige Tyssa liegt im Landschaftsschutzgebiet Elbsandsteingebirge etwa 20 Kilometer von der Bezirksstadt Aussig entfernt. Die Gemeinde liegt im tschechischen Teil der Sächsische Schweiz, auch als Böhmische Schweiz bekannt. Zum Verwaltungsgebiet von Tyssa gehören noch die Ortsteile Eiland, Raitza und die Siedlung Antonsthal (heute Antonínov). Somit hat Tyssa mehr als 800 Einwohner. Zu den Sehenswürdigkeiten zählen unter anderem die 1785-1788 erbaute Kirche der Heiligen Anna in der Ortsmitte und das Friedenskreuz aus dem Jahr 1626 an der Straße von Königswald nach Tyssa, wo ein reisender Heilkräuterverkäufer durch eine Gewalttat umgekommen ist. Aber auch die 1926 am östlichen Eingang der Felswände erbaute Touristenbaude, der Ziegelteich oder das Denkmal der 81 Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg, das am 8. September 1929 enthüllt wurde und an welchem mit einem zweiten Kurzvortrag in deutscher und tschechischer Sprache der erste Sächsisch-Böhmische Kulturtag in diesem Jahr seinen Abschluss fand.
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