Zeitreisen: Die letzte Fahrt des Luftschiffs 19
Fast 100 Jahre her: Der Erste Weltkrieg ist in vollem Gange, verfahren scheint die Situation vor allem an der Westfront. Und doch gibt es vielversprechende Operationen die den Feind zermürben und zur Kapitulation zwingen sollen.
Am 31. Januar 1916 folgen so neun deutsche Luftschiffe ihrem Befehl, einen Angriff auf Süd- und Mittelengland durchzuführen. Damalige Angriffe verbreiteten weniger Terror und Zerstörung, sorgten aber für eine enorme Verunsicherung bei der Zivilbevölkerung und banden eine enorme Anzahl gegnerischer Militärkräfte. Nicht anders ist die Gesamtzahl der im Ersten Weltkrieg durch Luftangriffe Getöteten von etwa 500 Menschen zu bewerten.
Unter den nächtlichen Angreifern auf die englische Hauptstadt ist auch Luftschiff 19 (L19) unter Kapitänleutnant Odo Loewe.
Trotz schlechter Sicht und starkem Unwetter verlässt das Zeppelin L19 kurz nach 12 Uhr mittags das heute dänische Tondern (damals Nordschleswig zugehörig) in Richtung England. Jedoch machen die schlechten Wetterverhältnisse der Besatzung schon nach wenigen Kilometern zu schaffen. So vereisen Regen und Schnee das Luftschiff und erschweren somit die Angriffsbedingungen. Auch die Maybach-Motoren laufen nicht so, wie sie sollten, ununterbrochen kommt es zu Ausfällen und Störungen. Alle an Bord wissen, dass es wohl kein Spazierflug werden wird.
Gegen 19.20 Uhr erreicht L19 die Küste bei Sheringham, doch anstatt den Angriff aufgrund heftiger Turbulenzen abzubrechen, gibt Kapitänleutnant Loewe den Befehl, weiter Kurs auf Liverpool zu halten. Nach englischen Darstellungen soll L19 nach der Bombardierung von Burton-on-Trent bald nach Mitternacht zwischen Birmingham und Wolverhampton seine Bomben auf erkennbare Industrieanlagen abgeworfen haben. Doch anstatt schnell wieder in die Heimat zurückzukehren, fuhr L19 wiederholt über 10 Stunden lang in Schleifen über feindliches englisches Gebiet.
Dies lässt sich nur durch gestörte Kompassangaben und Motorausfälle erklären. Wie Odo Loewe später berichtete, waren bei L19 zeitweise sogar drei der vier Motoren ausgefallen. In Folge dessen auch die Funkanlage, sonst hätte der Kommandant nicht erst um 3.53 Uhr um Peilwerte zur Orientierung gebeten. Diese Werte ergaben eine Position zwischen Norwich und King´s Lynn.
Um 14Uhr war L19 noch immer nicht in seinem Hangar, worauf man Hilfe beim Kommando der Hochseeflotte anforderte. Um 16.20 Uhr liefen Torpedoboote aus. Zeitgleich kam ein Funkspruch in Nordholz an:
“FT-Anlage war unklar, zeitweise drei Motoren unklar, Standort etwa Borkum, Wind ungünstig. L19â€
Die veranlasste Funkpeilung stellte fest, dass sich L19 nicht, wie von der Besatzung angenommen, über Borkum, sondern 41 km nördlich der holländischen Insel Ameland befand. Aufgrund der Meldung von L19, die offenbar eine Gefährdung ausschloss, sowie der brauchbaren Witterungsverhältnisse für eine Rückkehr, wurden die Torpedoboote zurückgerufen. Jedoch wurden später, nachdem es bis Mitternacht kein Lebenszeichen des Luftschiffes gab, wieder Torpedoboote beordert, um nach L19 zu suchen. Dies blieb allerdings erfolglos. Nur ein Benzintank wurde am Morgen des 2. Februar 1916 23km nördlich von Borkum aus dem Wasser gefischt.
Man erfuhr am gleichen Tag, dass L19 im Tiefflug bei nebligem Wetter über Ameland in heftigen Beschuss geraten war. Dabei wurden die Gaszellen so stark beschädigt, dass das Schiff manövrierunfähig und durch den Wind weit auf die Nordsee getragen wurde.
Einen Tag darauf, am 3. Februar 1916 erreichte ein Funkspruch die Heeresfunkstelle bei Lille, aus dem hervorging, dass ein englischer Fischdampfer das Wrack der L19 mit zahlreichen Überlebenden 205km östlich von Flameborough Head gesichtet hatte.
Einige Tage später meldeten englische Zeitungen, dass der Kapitän des Fischdampfers “King Stephen†aus Grimsby, William Martin, mit der Besatzung, die sich auf den First des Luftschiffes retten konnte, gesprochen hatte. Eine Rettung hatte er strikt abgelehnt, da er befürchtete, er und seine neun Mann hätten von der erschöpften Zeppelin-Besatzung überwältigt werden können. Im Morgengrauen des 2. Februar 1916 verließ er den Havarieort. Wenige Stunden später ertrank die Besatzung beim Untergang des Luftschiffes in den eisigen Fluten der Nordsee.
Als diese unterlassene Hilfeleistung an die Öffentlichkeit drang, war die allgemeine Entrüstung auf deutscher, aber auch auf englischer Seite groß. Die Besatzung des L19 musste in diesem Falle als in Not geratene Seeleute angesehen werden. Hier bestand eine internationale Pflicht zur Hilfeleistung. Monatelang beschäftigte diese Tragödie die Presse. Kapitän und Schiff wurden geächtet und von der Deutschen Marine gesucht. Bereits am 23. April 1916 wurde die “King Stephen†vom Torpedoboot G41 aufgebracht, während die Hochseeflotte Great Yarmouth beschoss. Die Besatzung wurde gefangengenommen, der Fischdampfer versenkt.
Dieses Geschehen war damals Anlass für viele Künstler, ihre Version der Ereignisse als Zeichnung zu veröffentlichen; darunter befand sich auch eine Postkarte, auf der folgendes Gedicht niedergeschrieben war:
Durch Gischt und Schaum auf den Wellen hin
Da treibt im Nordmeer ein Zeppelin.
Zur Spähe flog er mit keckem Mut,
Es riß ihn nieder in Sturm und Wut.
Schon sank die Gondel, die Hülle kaum
Beut der Besatzung noch Halt und Raum.
Die Hülle, sie saugt sich voll und schwer,
Sie schreiben hinaus ins wilde Meer:
Zu Hilfe, zu Hilfe in letzter Not!!
Da naht “King Stephen†und schickt ein Boot.
Ein englisches Schiff “Kind Stephen†ist,
Das englischer Ehre wohl nicht vergißt.
Es schickt ein Boot zu dem Luftwrack aus.
Sie jauchzen dort auf im Sturmgebraus.
Gerettet! Endlich in letzter Not!!
Vom wackern Feinde. – Da – wendet das Boot. – !
“Seid Eurer zu viel!†so klingt´s voll Hohn.
Und Schiff und Boot, sie fahren davon. – –
Die Hülle, sie saugt sich voll und schwer
Und langsam sinkt sie hinab ins Meer.
Und über die opfersatte Flut
Gellt noch ein heiserer Schrei der Wut.
Was ihr gelitten, ihr Brüder mein,
Getäuscht, verspottet in Todespein,
Das hat ein Höh´rar sich wohl gebucht,
“King Stephen†aber, du bist verflucht!
– W. v. Ostini im Felde –
Autor: Heinrich Kottisch