In der heutigen Zeit des Konsums, in welcher man ohne Markenklamotten ein „Niemand“ ist, geraten alte Traditionen schnell in Vergessenheit. Kaum ein Jugendlicher kennt heutzutage noch die für seine Heimat typische Trachtenmode und ihre historische Entstehung. Neben Teilen Thüringens und der in Sachsen lebenden sorbischen Minderheit pflegen vor allen die noch aktiven Verbände der Heimatvertriebenen diese Tradition und geben sie an jüngere Generationen weiter. Eindeutiger Vorreiter hingegen dürften bei der Transformation von Lederhose und Dirndl hin zur Mainstreamode die Bayern sein. Oft auch mit Hang zum Kitsch. Was jedoch nur wenige wissen: Das Bundesland mit der größten Trachtenvielfalt ist nicht Thüringen, Sachsen oder gar Bayern, sondern Hessen. Damit diese Tradition nicht in Vergessenheit gerät, wollen wir hier einen kleinen Einblick in die hessischen Trachten geben.
Für den Beginn der Entstehung der Volkstrachten als weitverbreitetes Kleidungsverhalten wird von Volkskundlern die Zeit nach dem Bauernkrieg angenommen. 1772 wurde in Hessen eine Kleiderordnung erlassen, um die heimischen Fabriken und Manufakturen vor fremden Waren zu schützen. Dadurch gewann die Tracht an Bedeutung. Die oft prachtvoll und aufwendig gestalteten Kleidungsstücke wurden nur zu besonderen Anlässen getragen. Überwiegend zu Sonnenwenden, Hochzeiten, Volksfesten, Trauerfeiern, …
Nordhessen
Die wohl bekannteste ist die Schwälmer Tracht, auch „Rotkäppchentracht“ genannt. Grund dafür ist, dass die
Gebrüder Grimm das Märchen „Rotkäppchen“ in der Schwalm geschrieben haben. Man geht davon aus, dass sie sich ein Beispiel an der Schwälmer Tracht nahmen. Entstanden ist sie um das 17. Jahrhundert. Je nach Alter und familiärer Situation spielten die Farben der Tracht eine wichtige Rolle. Variierten bei den Herren die Farben der Weste, so variierten hingegen bei den Damen die Bänder und Verzierungen
Ledige Menschen trugen rot, da dies als jugendlich und Symbol der Unverheirateten galt. Nach der Hochzeit trugen die Männer blaue, die Frauen hingegen grüne Westen. Wurde das erste Kind konfirmiert, trugen Frauen violett oder blau. Im hohen Alter wurde vorwiegend eine schwarze Schwälmer Tracht getragen. Die Regeln bei der Farbwahl der Schwälmer Tracht wurden streng und korrekt eingehalten.
Weitere bekannte: Niederhesschiche Spitzbetzeltracht, Edertal Tracht
Mittelhessen
Die Mittelhessische Tracht ist einer der ältesten in Deutschland und stark geprägt durch den Zuzug der Hugenotten. Die bekannteste ist die evangelische Marburger Tracht, die im Ebsdorfergrund und Amöneburger Becken entstand. Sie gilt als eine schöne, in ihrer Form ausgewogene, Tracht. Junge Leute trugen bunte und farbenprächtige Trachten, während man im Alter und insbesondere bei der Trauer dunkle und schwarze Farben trug.
Weitere bekannte: Tracht des Breidenbacher Grundes, Hüttenberger Tracht, Busecker Tracht
Osthessen
Die Hersfelder Tracht ist stark geprägt durch den Einfluss der Stadt. Dies kam dadurch, dass viele Frauen in Kassel oder Frankfurt im Haushalt arbeiteten und diese Einflüsse dann mit in ihre Heimat brachten. Da die Hersfelder Region eine sehr protestantische Gegend ist, waren die Trachten relativ schlicht und in gedeckten Farben gehalten. Sie veränderte sich mehrmals im Laufe der Zeit.
Weitere bekannte: Lauterbacher Tracht, Rhön Tracht, Rotenburger Tracht, Schlitzerländer Tracht
Südhessen
Die Südhessischen Trachten sind heute durch die Industrialisierung des Rhein-Main-Gebietes fast komplett in Vergessenheit geraten. Das Besondere an der Odenwälder Tracht ist die Haube der Frau, welche sich von Ort zu Ort unterscheidet. Die bekanntesten sind das „Chausee-Krätzerchen“ oder das „Sturmhäubchen“.
Weitere bekannte: Bergwinkel Tracht, Ländchetracht