Die „Bundesagentur für Arbeit“ frohlockt: Die Zahl der Arbeitslosen bewegt sich scheinbar weiter nach unten. Schon bald könne die magische Marke von drei Millionen unterschritten werden, heißt es aus den Amtsstuben der Bundesarbeitslosigkeitsverwaltungsanstalt. Sogar das Ausland sei neidisch auf dieses „neue deutsche Job-Wunder“, weiß die BILD-Zeitung zu berichten und zitiert am 30. September die WASHINGTON POST: „Während sich die Amerikaner Sorgen über hohe Arbeitslosigkeit und die Gefahr einer neuen Rezession machen, verschafft eine Konjunktur-Renaissance den Deutschen Jobs und treibt die Wirtschaft auf ein Tempo, das man seit dem Fall der Mauer nicht mehr sah.“ Offenbar beflügelt von dieser Euphorie, titelt besagte Zeitung mit den vier Buchstaben am 19. Oktober gar unter Berufung auf Zahlen aus dem „Institut zur Zukunft der Arbeit“ (IZA): „Nur noch 2,9 Millionen Arbeitslose!“, und verheißt Deutschland mit den Worten von IZA-Funktionär Hilmar Schneider „ein goldenes Jahrzehnt“.
Soweit, so gut. Allerdings findet sich die tatsächliche Wahrheit wie so oft nur zwischen den Zeilen, respektive dann, wenn man unterschiedliche Nachrichtenmeldungen miteinander kombiniert und sie zueinander ins Verhältnis setzt. Dass es mit der Glaubwürdigkeit der so positiv klingenden Arbeitslosenstatistik nämlich nicht allzu weit her sein kann, diesen Beweis liefert die BILD-Zeitung höchstselbst, wenn sie in der gleichen Ausgabe, auf der gleichen Seite (!) in einer Randnotiz auf der rechten Spalte vermerkt, daß in Deutschland „jeder Dritte“ gezwungen sei, aufgrund finanzieller Engpässe im täglichen Leben auf den Kauf von „Billig-Lebensmitteln“ zurückzugreifen. Wie also passt das zusammen? Auf der einen Seite sollen derzeit so viele Menschen in Lohn und Brot stehen wie seit 1992 nicht mehr – und auf der anderen Seite ist ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland finanziell nicht in der Lage, sich ausgewogen zu ernähren?! Diese Konstellation verdient in der Tat eine nähere Untersuchung.
Der SÜDKURIER bringt den zutage tretenden Widerspruch am 19.10. – ebenfalls in einer Randnotiz, auf Seite 2 – noch deutlicher zur Sprache und liefert schon einmal einen ersten Anhaltspunkt darauf, wo der Hase im Pfeffer liegt. Die Zeitung zitiert eine Pressemitteilung der IG Metall, in der auf die desolate Arbeitsmarktlage insbesondere für junge Arbeitnehmer unter 25 Jahren hingewiesen wird. So heißt es dort unter der vielsagenden Überschrift „Aufschwung geht an Jugend vorbei“: „Rund 54 Prozent der Erwerbstätigen unter 25 Jahren seien prekär beschäftigt, das heißt in Leiharbeit, befristeten Jobs oder in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das sagte IG-Metall-Vize Detlef Wetzel am Montag in Frankfurt. Dies seien sogar noch neun Prozentpunkte mehr als im Krisenjahr 2009. Bei den Erwerbstätigen unter 35 Jahren liege der Anteil immer noch bei 30 Prozent.“
Hier also entlarvt sich die so hoch gepriesene Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung deutlich als das, was sie ist: Eine von Schönfärberei und Manipulation geprägte Zahlenkosmetik, die versucht, mit Hilfe der Schaffung schlechtbezahlter (Teilzeit-)Jobs möglichst viele Menschen aus der Erwerbslosenstatistik hinauszumogeln. Schließlich gilt in Deutschland nach aktueller Gesetzeslage nicht mehr als arbeitslos, wer in der Woche mindestens 15 Stunden arbeitet. Ob man von einer solchen „Arbeit“ leben kann oder nicht, ist für die Statistik irrelevant.
Der Bundestagsabgeordnete Herbert Schui (DIE LINKE) steigt in einem Beitrag für die Zeitung „junge welt“ noch tiefer in die Materie ein. Zug um Zug listet Schui die Anzahl derjenigen auf, die zwar nicht in der offiziellen Arbeitslosenstatistik auftauchten, aber dennoch auf der Suche nach Arbeit seien – und kommt dabei auf die unglaubliche Zahl von fast 10 Millionen Arbeitssuchenden!
Diese enorme Menge setzt sich laut Schui wiefolgt zusammen: Zu den offiziellen 3,2 Millionen Arbeitslosen kämen zunächst 0,35 Millionen ALG1-Bezieher, die über 58 Jahre alt seien und aufgrund ihrer altersbedingten Unvermittelbarkeit statistisch nicht mehr erfasst würden. Außerdem fielen 0,32 Millionen sogenannte „1-Euro-Jobber“, 0,19 Millionen in Weiterbildungs-, sowie 0,2 Millionen in Eingliederungsmaßnahmen ebenfalls aus der Statistik heraus. Diese Menschen mit eingerechnet, so rechnet Herbert Schui vor, ergebe dies zunächst eine Summe von knapp 4,3 Millionen Menschen ohne Arbeit.
Aber das ist längst noch nicht alles. Zu diesen 4,3 Millionen addiert Schui außerdem eine sogenannte „stille Reserve“ von etwa 1,2 Millionen Menschen, die nirgendwo gemeldet seien, sich aber dennoch auf Arbeitssuche befänden. Desweiteren – und hier schließt sich der Kreis zu der oben erwähnten Meldung des SÜDKURIER – dürfe man nicht vergessen, daß sich derzeit knapp 4,2 Millionen Menschen in Arbeitsverhältnissen befänden, deren Verdienst nicht zum Leben ausreiche. „Der größte Teil davon ist teilzeitbeschäftigt, ein anderer Teil ist zwar vollzeitbeschäftigt, aber das Einkommen reicht nicht aus.“ Auch diese Menschen seien, so führt Schui aus, auf der Suche nach einer zusätzlichen Beschäftigung, um finanziell unabhängig zu werden.
Herbert Schuis Schlußfolgerung lautet daher: „Es ist also ein Schmarren, wenn von 3,2 Millionen Arbeitslosen die Rede ist. Die ‚Stille Reserve‘, die Leute im Ein-Euro-Job, sind überhaupt nicht beschäftigt und suchen nach Arbeit, die anderen haben zwar eine Arbeit, können davon aber nicht leben. Auf der Suche nach Arbeit sind also, wenngleich aus recht unterschiedlichen Ausgangslagen, insgesamt 9,7 Millionen Menschen.“
Und die Nase von Frau Merkel wird länger und länger…