WARSCHAU/DRESDEN. Am 11. November dieses Jahres beging Polen das einhundertjährige Jubiläum seiner (wiedererlangten) Eigenstaatlichkeit nach Ende des Ersten Weltkrieges. Bis zu 250.000 Menschen beteiligten sich unter dem Motto „Bóg, Honor, Ojczyzna!“ (Gott, Ehre, Vaterland!) am „Marsz Niepodległości“, dem Unabhängigkeitsmarsch in Polens Hauptstadt Warschau. Staatliche Repressionen gegen Nationalisten überschatteten dabei das Geschehen.
„Polen in seiner heutigen Form hat kein Existenzrecht.“, „Es kann erst dann einen Dialog geben, wenn territoriale Fragen geklärt sind.“ oder „Wir müssen historischen Ballast endlich abwerfen“.
Die Standpunkte und Aussagen innerhalb deutsch-nationaler Kreise zu „Polen“ und ähnlich gelagerten Themen sind so vielschichtig, unterschiedlich und bisweilen extrem gegensätzlich wie die deutsche Rechte selbst. Warum also beteiligen sich ausgerechnet Junge Nationalisten an den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Polens? Nun, weil wir einerseits anerkennen, dass wir das Rad der Geschichte nicht im Stande sind zurück zu drehen. Wenigstens nicht in jenem Maße, wie es sich einige Vertreter der eben genannten Extrempositionen heute ausmalen mögen. Ein Fakt, der im Übrigen für Polen wie Deutsche gleichermaßen gilt! Zum Anderen, weil wir glauben, dass das Erarbeiten von Lösungen zunächst des Dialoges bedarf und nicht umgekehrt.
Nach einer ersten Reise im November vergangenen Jahres und dem Gegenbesuch polnischer Nationalisten beim 3. JN-Europakongress „[RE]generation.EUROPA“ im Mai, reisten JN-Aktivisten also auch in diesem Jahr nach Warschau. Nach einem ersten Treffen mit Vertretern der Allpolnischen Jugend im Vorjahr, waren Junge Nationalisten nun erstmals als offizielle Gäste einer Konferenz unter dem Motto „Europa der Zukunft“ geladen. Diese Konferenz, welche neben einigen anderen Gruppen unter anderem auch von dem bekannten Szturm-Magazin initiiert ist und als größte so genannte pan-europäische Initiative in Polen gilt, sollte in diesem Jahr in dritter Auflage stattfinden. Wenngleich die Verhaftung einer Vielzahl polnischer Aktivisten, die Ausweisung von Referenten und anderer angereister Gäste direkt vom Flughafen, sowie eine Reihe weiterer Repressionen die Durchführung der Konferenz, als auch eines geplanten Rockkonzertes letztendlich verhinderten, so dürfte diese erste offizielle Einladung von Vertretern der Jungen Nationalisten nach Polen durchaus als von unserer Seite positiv zu bewertendes Novum gelten.
Auch der Marsch am 11. November blieb nicht von staatlicher Einflussnahme verschont. Obgleich zyklische Veranstaltungen nach geltender Gesetzeslage des Landes nicht verboten werden können, sprach Warschaus Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz nur wenige Tage zuvor eben jenes Verbot aus. Während sich das Organisationskomitee vor Gericht gegen das Verbot wehrte, schaltete sich die Regierung in die Angelegenheit ein, übernahm die Schirmherrschaft und wies den Unabhängigkeitsmarsch als staatliches Zeremoniell aus. Dass dies für Unmut im nationalen wie patriotischen Lager sorgte, mag den oberflächlichen Betrachter verwundern, stellen bundesdeutsche Massenmedien die polnische Regierung und deren Politik doch regelmäßig als geradezu extrem rechts heraus. Dem ist bei Weitem nicht so, wie das staatliche Vorgehen in Polen unter Beweis stellt und zeigt gleichermaßen die Gefahren eines reaktionären Konservatismus auf. Denn die Übernahme des „Marsz Niepodległości“ durch staatliche Stellen kann auch als klare Kampfansage und Versuch interpretiert werden, einen aufgesetzten Staatspatriotismus zu installieren und so eine fundamentale, auf radikale Erneuerung ausgerichtete, Opposition überflüssig erscheinen zu lassen und sich ihrer letztendlich zu entledigen. Das Beispiel Polen kann diesbezüglich ein warnendes sein, denn auch hierzulande sind bisweilen derlei Tendenzen bereits erkennbar. So etwa, wenn der AfD-Abgeordnete im Deutschen Bundestag, Dr. Anton Friesen, sich in einer Kleinen Anfrage nach der „Kooperation zwischen deutschen und ukrainischen Rechtsextremisten“ erkundigt (Drucksache 19/5220)[1]. Ein Gebaren, das man bisher eher von selbsternannten Anti-Rechts-Kämpfern wie etwa Kerstin Köditz, ihres Zeichens Abgeordnete der Partei Die Linke im Sächsischen Landtag, kennt.
Doch zurück nach Warschau, wo sich unsere Aktivisten dem Block des Trzecia Droga anschlossen, eben jener Organisation, deren Vertreter ihr Land beim zurückliegenden 3. Europakongress der JN vertraten. Mit etwa 300 Teilnehmern und unter lauten Sprechchören zog man geschlossen zum rondo Dmowskiego, dem Treffpunkt des eigentlichen Marsches. Bis zu 250.000 Menschen waren hier, gehüllt in ein Meer aus weiß-roten Fahnen, versammelt. Menschen aller sozialer Schichten, Studenten, Arbeiter, Ältere und Kriegsveteranen, Musiker, Politiker, Schriftsteller, verschiedene patriotische und nationale Organisationen, Familien mit Kindern, verliehen ihrem Nationalstolz Ausdruck. Ein Bild, das in vielen anderen Ländern Europas Normalität ist und das angesichts der Zustände in unserer Heimat nachdenklich stimmt. Nachdenklich auch über das deutsch-polnische Verhältnis und darüber, wie es zukünftig gelingen kann weiter Brücken zu bauen auf dem Weg zu unserem großen Ziel, einem Europa der freien und souveränen Nationen.
So sagte vor einigen Tagen selbst Friedensnobelpreisträger, von 1980 bis 1990 Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność und Staatspräsident Polens von 1990 bis 1995, Lech Wałęsa, sinngemäß: „Es ist notwendig, ein für alle Mal zu sagen, wer wem etwas Böses getan hat und dann ein Ende zu setzen. Bis dahin wird die Wunde nicht heilen.“
Dass es dabei natürlich niemals darum gehen darf, die eigene Geschichte zu vergessen, hat unsere Jugendorganisation bereits in der Vergangenheit mehrfach in Wort und Tat deutlich zum Ausdruck gebracht. Denn die eigene Geschichte und Identität zählen zu den elementarsten Grundpfeilern einer jeden Nation. Aus eben dieser Tatsache resultiert folglich auch all der Hass unserer Gegner und Feinde, die uns mit dem Ziel der Versklavung und letztendlichen Vernichtung der europäischen Völker und ihrer Lebensart, von unseren Wurzeln abschneiden wollen.
Es geht also in keinem Falle darum, „historischen Ballast abzuwerfen“, wie dereinst bereits Forderungen aus rechtsliberalen Kreisen laut wurden, sondern vielmehr um die Frage, inwieweit die historischen Fakten und Ereignisse, Schicksalsschläge und nationalen Traumata unser Tun und Handeln im Hier und Jetzt beeinflussen oder gar bestimmen. In diesem Sinne sind wir der festen Überzeugung, dass wir Recht und Gerechtigkeit für die Opfer unseres eigenen Volkes nur dann ernsthaft einfordern können, wenn wir gleichzeitig lernen, auch den Opfern unserer europäischen Brüder und Schwestern mit einem Mindestmaß an Respekt zu begegnen.
Deshalb bedarf es des Dialoges, des aufeinander Zugehens, der hohen Kunst des Zuhörens. Denn blinder Hass ist noch zu keinem Zeitpunkt in unserer gemeinsamen europäischen Geschichte ein guter Ratgeber gewesen. Das mussten Deutsche wie Polen im Laufe der Jahrhunderte leidvoll erfahren. Sieger oder Besiegte hat es dabei am Ende auf keiner der beiden Seiten wirklich gegeben. Jedoch die wahren Verlierer aller durch interessierte Mächte entfachten Bruderkriege, gleich ob in Vergangenheit oder Gegenwart, waren und sind die Völker Europas! Daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen, ist unsere große Aufgabe.
BAK Europa